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Reichstag, Insassen und ihr Hartz-Konzept


Oben in der Kuppel angekommen wird vieles klarer.

Am obersten Punkt des Reichstag konnte man es lesen: "Way down". Niemals würde ich mir erlauben anzunehmen dass es sich um die Richtung handele die, die Regierung eingeschlagen hat.
Warum man das aber denken könnte, will man dann aber doch nicht unerwähnt lassen. 355 Seiten Papier geben Auskunft über das, was Hartz-Konzept genannt wird. In den Medien sind indes nur Schlagwörter zu hören die sich den wenigsten erschlossen haben. Von Job-Floater und Ich-AG ist die Rede.

Hartz kann auch lecker sein.

Um die gröbste Verwirrung zu beseitigen gibt es hier eine Kurzerklärung der besten Wortneuschöpfungen im Dunstkreis der Hartz Kommission sowie ein klein wenig persönliche Meinung.

Sicher zu den übelsten Anglizismen zählt der Job-Floater. Hierbei handelt es sich um einen Arbeitslosen der dem Unternehmer einen günstigen Kredit über 100.000 € einbringt. Vorraussetzung ist die Übernahme nach der Probezeit und ein mittleres oder kleines Unternehmen als Kreditnehmer. Bei der Verschachtelung eines durchschnittlichen Konzern in haufenweise kleine und mittlere Unternehmen wird der Mittelstand aber sicher nicht zu den grossen Nutzniessern gehören. Hier bleibt abzuwarten ob dieser Gefahr in der Umsetzung ausreichend Genüge getragen wird. In der Praxis wäre im schlechtestem Fall auch ein Austausch von vorhandenem Personal durch Job-Floater zu befürchten. Die Gefahr eines Kreditausfalls wird laut Hartz-Papier mit dem eingesparten Arbeitslosengeld gegen gerechnet. Man kann sich allerdings schwerlich vorstellen dass es zu einem Kreditausfall kommt und kein Arbeitnehmer seinen Arbeitsplatz verliert. Kapital für den Mittelstand zur Verfügung zu stellen gehört sicher nicht zu den schlechten Ideen, eine Kreditvergabe mit solchen Kriterien wird dem Mittelstand aber kaum das Rückgrat stärken.

Eine Existenzgründung zu stützen ist hingegen Ziel der "Ich AG". Klingt erst mal gut, dem Arbeitslosen soll bei dem Schritt in die Selbständigkeit finanziell unter die Arme gegriffen werden. Er erhält eine Aufstockung seiner Einnahmen durch das Arbeitsamt, bis 25.000 € wird er mit pauschal 10 % Steuern auf alle Einnahmen belastet und ist gleichzeitig voll sozialversicherungspflichtig. Hier können wir uns kurz an die Regelungen zur Scheinselbständigkeit aus der letzten Legislaturperiode erinnern. Dieser Scheinselbständigkeit wird hier Tür und Tor geöffnet, mit dem Unterschied das alles staatlich subventioniert wird. Eine richtige Existenzgründung ist damit nahezu unmöglich, nicht zuletzt wegen der unterschiedlichen Besteuerung und dem erklärten Ziel mit der Ich AG kostengünstige Dienstleistungen zu schaffen.

An eine Dienstleistung ganz anderer Natur erinnert die familienfreundliche Quick-Vermittlung. Diese verspricht eine "intensive Betreuung" und eine "Reduzierung der Betreuungsquote".

Man muss nicht alles verstehen in diesem Papier.

Was jedem klar, aber wohl in der Praxis niemandem einleuchtet ist die Verpflichtung jedes Arbeitnehmers, bei drohender Arbeitslosigkeit dem Arbeitsamt - neuerdings Job-Center genannt - unverzüglich Meldung zu erstatten. Das heisst im Klartext, am Tage der Kündigung muss das Job-Center informiert werden, ansonsten droht für jeden Tag Verspätung eine Kürzung des Arbeitslosengeldes.
Daran denkt sicher jeder frisch Gekündigte als erstes.
Besonders absurd wird es bei befristeten Beschäftigungsverhältnissen. Sind diese beispielsweise auf 3 Monate befristet muss das Job-Center am Tage der Einstellung über die drohende Arbeitslosigkeit informiert werden. Dafür soll der Arbeitnehmer dann auch für einen Tag von der Arbeit freigestellt werden, also sofern sich irgend jemand nach Unterzeichnung des Arbeitsvertrages traut gleich wieder zum Arbeitsamt - also das was jetzt Job-Center heisst - abzuhauen.

Dinge umbenennen oder lustige Namen zu erfinden gehört sicher zu den Kernkompetenzen der Hartz-Kommission. Ganz und gar nicht lustig ist die Umbenennung des Lehrgeldes früherer Jahrhunderte in AusbildungsZeit-Wertpapier. Nachdem deutsche Unternehmen sich mehr und mehr darum drücken ihren Bedarf an Fachkräften selber auszubilden und bereits durch unsinnige Aktionen wie die "Blue-Card" entlastet, der Arbeitsmarkt aber mit weiteren Arbeitslosen belastet wurde, soll die Finanzierung in Zukunft durch das AusbildungsZeit-Wertpapier und die Einnahmen eines Rabattkartensystems subventioniert werden.

Ebenso lustig der Name, wie erschreckend der Hintergund, das gilt für das Bridge-System. Hier geht es um ältere Arbeitnehmer. Während in der Politik das Alter eher einen Vorteil darstellt scheint es in der Wirtschaft zumindest bei den Arbeitnehmern umgekehrt zu sein. Verstanden habe ich das nie, aber mit 28 ist man eben noch zu unerfahren. Was hat sich die Kommission nun für unsere "Oldies" einfallen lassen.
Kernstück des Bridge-Systems ist, dass der Arbeitslose ab 55 wählen kann ob er dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen will oder nicht, ganz so toll wie sich diese Wahl anhört ist sie jedoch nicht. Sobald man der Betreuung des Job-Centers abschwört erhält man statt dem Arbeitslosengeld eine "kostenneutral errechnete monatliche" Leistung. Kostenneutral heisst in diesem Zusammenhang dass die zwei Jahre Anspruch auf Arbeitslosengeld auf die Zeit bis zur Rente umgerechnet werden, abgezogen wird ausserdem noch dass eine Wiederbeschäftigungschance von ca. 25% besteht, also noch mal ein Viertel weg vom Geld.
Das Menschen über 50 demnächst öfters beim Arbeitsamt anzutreffen sind, dafür sorgt man natürlich auch. Während bisher erst ab 58 ohne Grund befristet eingestellt werden durfte, soll diese Grenze in Zukunft auf 50 herabgesetzt werden. Ab dann darf niemand mehr auf einen Kündigungsschutz hoffen, es wird befristet eingestellt und je nach Bedarf verlängert oder eben nicht verlängert.

Kündigungen werden in Zukunft aber immer seltener, Firmen die weniger Beiträge in die Arbeitslosenversicherung einzahlen sollen in Zukunft höhere Sätze zahlen, als solche die mehr bezahlen. Der Hintergrund ist das man daran messen will wer einstellt und wer Mitarbeiter entlässt. Grundsätzlich ein interessanter Ansatz, mit einem Haken. Ein Unternehmen das entlässt, steht nicht immer unbedingt gut da. In schlechten Zeiten selektiv die Lohnnebenkosten zu erhöhen scheint ohne vernünftige Zusatzkriterien, was die finanzielle Lage des Unternehmens angeht, reichlich unpassend. So werden vor allem kleine Mitbewerber schnell vom Markt gedrängt.

Von besonderer Bedeutung ist die sogenannte PSA, die Personal Service Agentur. Prinzipiell eine Zeitarbeitsfirma die Arbeitslose in ihre Dienste stellt. Zu diesem Thema muss man sich nur vor Augen führen was hier passiert:
Die Zeitarbeitsfirma streicht einen Teil des Gehalts ein.
Ansonsten passiert nichts, jedenfalls nichts produktives. Der direkt angestellte Arbeitnehmer wäre für beide Seiten von Vorteil. Nur in ganz wenigen Fällen machen Zeitarbeitsfirmen überhaupt Sinn, das ist immer dann der Fall wenn vollkommen unerwartet und extrem kurzfristig auf ein erhöhtes Arbeitsaufkommen reagiert werden muss. Ansonsten gibt es nur noch zwei Gründe: Umgehung des Kündigungsschutz und Tarifflucht. Die Hartz-Kommission spricht hier sogar eine recht deutliche Sprache: "De facto führt die verstärkte Einschaltung von PSA und anderen Zeitarbeitsfirmen zur Neutralisierung des Kündigungsschutzes."
Gleichzeitig soll eine Beschränkung der maximalen Entleihzeit nicht mehr stattfinden, bisher waren dies zwei Jahre.

Das Hartz-Konzept hat aber noch eine tolle Idee. Nach PISA war klar dass unser Schulsystem dringend überholt werden muss, was aber nun vorgeschlagen wird ist mehr als unverständlich. Schüler die "weniger theoriebegabt" sind sollen in Zukunft stärker praxisorientiert unterrichtet werden. Also wenn der Schüler es nicht gleich kapiert, dann probieren wir das auch nicht weiter. So etwas gibt es bereits und das Ergebnis ist wie erwartet. Wer als "weniger theoriebegabt" entlarvt wird, lernt die Theorie nie mehr. Der Analphabet wird damit wieder häufiger anzutreffen sein. Statt die Kenntnisse in der Theorie vernünftig zu fördern wird auf die Praxis gesetzt, die aber niemandem das Rechnen beibringen wird. Genau dieses Konzept wurde bereits angewandt und hat sich als untauglich herausgestellt. Nirgends ist das besser zu erkennen als im Hartz-Konzept selbst.


Gefunden im Hartz-Konzept.